Donnerstag, 18. April 2013

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Wenn man das Phänomen "Nietzsche" untersucht, so zeigt sich, um es mit Sulzers Definition des "Naiven" zu sagen "daß es seinen Ursprung in einer mit richtigem Gefühl begabten, von Kunst, Verstellung, Zwang und Eitelkeit unverdorbenen Seele habe. Die Einfalt und Offenherzigkeit im Denken, Handeln und Reden, die mit der Natur übereinstimmt, und auf welche nichts Willkürliches oder Gelerntes von außenher den geringsten Einfluß hat, insofern sie gegen das Feinere, überlegtere, mit aller Vorsichtigkeit das Gebräuchliche nicht zu beleidigen Abgepaßte absticht, scheinet das Wesen des Naiven auszumachen. Es äußert sich in Gedanken, im Ausdruck, in Empfindungen, in Sitten, Manieren und Handlungen". (Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste)

Nietzsche mit Einfalt in Verbindung zu bringen, scheint mir legitim, nachdem Schiller in seiner Schrift "Über naive und sentimentalische Dichtung" Goethe als naiven Dichter gekürt und die Einfalt mit dem ruhigen, unbeirrten Wirken der Natur aus sich heraus gleichgesetzt zu haben scheint. Nietzsche ist in einem noch tieferen Sinne klassisch, als Winckelmann das Klassische der Griechen definiert hat. Nietzsche ist tatsächlich "Schüler des Dionysos". Er entdeckt neu die tierische Natur des Menschen. Tiere sind jenseits von Gut und Böse, mithin "gut". Der Mensch - wahnhaft von den Tieren unterschieden - ist in Gut und Böse verstrickt, mithin "böse", wie Schopenhauer richtig erkannt hat. Erst der Mensch, der anerkennt, daß er Tier ist, kommt wieder jenseits von Gut und Böse zu stehen: erst nach dieser Feststellung ist er (wieder) "gut". Jetzt erst kann er sinnvoll festgestellt werden.


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